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Anonymer Briefeschreiber hält Woffenbach in
Atem
Unbekannter vermischt Wahrheit mit Fiktion -
Polizei ermittelt bereits in verschiedenen Fällen
16.04.2010. Ein Dorf ist am
Rätseln: Wer ist der Unbekannte, der seit über einem Jahr den Ort mit
anonymen Briefen eindeckt; mit Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft, mit
Beschwerden bei Vorgesetzten, in denen Bürger beleidigt und übel
denunziert werden. Die Richtung der Vorwürfe ist immer die gleiche: Es
wird Personen unterstellt, glühende Nazis gewesen zu sein, herzlos
gegenüber der eigenen Familie gehandelt zu haben, oder, wenn es um junge
Menschen geht, die Verbrechen aus der Nazi-Zeit zu verharmlosen. Ein aus
guten Gründen anonymisierter Bericht über den Anonymus, der Woffenbach
in Atem hält.
Begonnen hat es nach einem Vortrag über die Geschichte des Ortes. Und,
wenn ein Betroffener so überlegt, habe er fast alle Zuhörer im Saal
gekannt. Wenig später kamen die ersten anonymen Briefe: Den Bauerndeppen
seien bei dem Vortrag die Augen geöffnet worden über das, was in ihrem
Dorf abgelaufen sei, heißt es.
Ein Brief, der auch an die Redaktion der NN ging. Harsch im Tonfall. Und
der wurde in der Folge noch harscher. Im Mittelpunkt: das Geschehen in
dem bis 1972 selbstständigen Ort. Der Unbekannte schreibt in seinen
Briefen an die Staatsanwaltschaft, an Woffenbacher, an überregionale
Zeitungen oder die bayerische Staatskanzlei von Ereignissen, die sich
zum Teil zugetragen haben, zum Teil aber frei erfunden sind.
Schwierige Situation
Was die Situation für die Betroffenen nicht leichter macht: Unter
anderem denunzierte der Unbekannte Beamte bei den zuständigen
Ministerien. »Da bist du genervt, sauer, grantig - aber du bist einfach
machtlos?, sagt ein Betroffener, der den Vorwurf, das Nazi-Regime wei?
waschen zu wollen, zurückweisen musste.
So sieht das auch ein anderer. In seinem Fall hatte sich der Anonymus
mit üblen Vorwürfen ebenfalls an das zuständige Ministerium gewandt.
»Dazu musste ich dann Stellung beziehen?, sagt der Mann. Die Vorwürfe
sind nun aus der Welt; trotzdem, sagt er: »Wenn wieder was in die
Richtung kommt, heißt es, da war doch schon mal was.?
Betrunken gemacht
Die Briefe konzentrieren sich auf den Woffenbacher Ortskern. Auf die alt
eingesessenen Bauern, auf die Rechtler. Auf angebliche Ungerechtigkeit
auf Gottes Erdboden, auf Zeiten, »in denen die Backsteine durch die
Fenster flogen?. In denen Bauern von gierigen Nachbarn betrunken
ge-macht und um Hab und Gut und Ansehen gebracht wurden. Von
Nationalsozialisten, ihren Handlangern und ihren Taten, von Familien,
die Verwandte an die Nazis verrieten. Aus strammen Nazis seien nach dem
Krieg frömmelnde Katholiken geworden, höhnt der Briefeschreiber. Wen der
Unbekannte meint, schreibt er ausführlichst; die Briefe gehen dann an
viele Adressen.
In vielen Geschichten findet sich nach vielen Gesprächen mit
Woffenbacher Familien ein Körnchen Wahrheit: Aber eben nur ein Körnchen.
So detailverliebt der anonyme Briefeschreiber ist, so fehlerbehaftet ist
das, was er oft zum Besten gibt. Da werden Stadträte der falschen Partei
zugeordnet, da stammen ehemalige Oberbürgermeister aus falschen Orten.
Da werden Verwandtschaftsverhältnisse wild durcheinander gewürfelt - was
einem Kenner des alten Dorfes nicht unterlaufen dürfte.
Neid spricht ebenfalls aus den anonymen Zeilen: Zur
»Jubiläumsfeier der Stadt Eckart-Dietrich? schreibt der Anonymus im
Vorfeld des Auftaktwochenendes zur 850-Jahr-Feier in einer »Anzeige
gegen die CSU Neumarkt wegen Wahltäuschung der Bauern und
NS-Verherrlichung?, gerichtet an die bayerische Staatskanzlei, dass sich
der Reichtum der Stadt Neumarkt nicht aus der Industrialisierung
gespeist habe, sondern aus der Tatsache, dass die Kommune den Bauern
Land abgepresst und teuer als Bauland weiter verkauft habe.
Besonders betroffen ist in der Geschichte eine Woffenbacher Familie;
über sie lässt sich der Anonymus in vielen Variationen und mit viel Häme
aus. Doch an den Sohn, der den Hof seiner Väter übernommen hat, war bis
heute selbst keines der anonymen Schreiben gerichtet. Die Nachbarn waren
es, die ihm die Briefe mit den Anwürfen zeigten. »Solange es mich nicht
trifft, ist es mir egal und geht an mir vorbei?, sagt er offen. Genauso
offen gibt er zu, dass er und seine Familie sich trotzdem Gedanken
gemacht haben, wer der Schreiber sein könnte.
»Das Gemeine ist, dass man sich nicht dagegen wehren kann?, sagt Pfarrer
Helmut Hummel. Er hat im Herbst vergangenen Jahres einen der Briefe
erhalten. Doch er hält es mit seinem früheren Regens und Lehrer Andreas
Bauch, der einst gesagt habe: »Anonyme Briefe liest man nicht, die wirft
man weg.? Er messe der Sache keine Bedeutung bei, sagt er, das Vorgehen
finde er aber schlimm: Das sei Gift in der Gemeinde.
Seltsame Zwischenrufe
Auch an ein Mitglied der Kolpingfamilie in Woffenbach ging ein anonymer
Brief. »Es waren die üblichen Anschuldigungen?, sagt er. Den Brief habe
er erhalten nach einem Vortrag über einen Orden, den die Kolpingfamilie
vorgestellt habe. »Da war auch ein Mann dabei, der mit seltsamen
Zwischenrufen aufgefallen ist?, erinnert er sich: Aber ob der auch der
Verfasser des Briefes gewesen sei? Der etwa 60-jährige Zwischenrufer sei
kein Ortsansässiger gewesen.
»Am Stammtisch reden s? dauernd über die Briefe?, wei? eine
Alteingesessene. Der Anonymus benennt in seinen Schreiben gerne die
alten Familien des Dorfes als Zeugen. Es sind immer wieder dieselben
Namen, die auftauchen, in langen Listen getippt. »Wir sind auch
genannt?, sagt ein junger Woffenbacher, der in seiner Familie
verschiedene Vorwürfe in den Schreiben auf ihren Wahrheitsgehalt hin
abklopfte. Doch wenig ist geblieben. »Mein Vater wei? da fast nichts?,
sagt er. Und beim Versuch, den anonymen Schreiber festzunageln, sei man
schlicht gescheitert: »Keine Ahnung, wer das sein könnte.?
Bei der Polizei gibt es inzwischen einen Beamten, der für
die anonymen Schreiben zuständig ist. Sechs Anzeigen gegen Unbekannt
gibt es schon, doch keine heiße Spur. Die Briefe, erklärt PI-Leiter
Helmut Lukas, seien in München und Nürnberg aufgegeben worden. Da sei
einer am Werk, sagt er, »dessen Lebensinhalt darin besteht, anderen
Schwierigkeiten zu bereiten?. Seit Juli 2009 gebe es die Briefe.
Auffallend sei, dass der Schreiber über Detailwissen verfüge, aber auch
grobe Schnitzer mache.
Das sieht auch einer der Hauptbetroffenen so. Er musste sich nach
unhaltbaren Anwürfen seinem Arbeitgeber gegenüber rechtfertigen; das
NS-Regime zu glorifizieren war einer der Vorwürfe. Der da schreibt, sagt
er, hat Bildung, die aber irgendwann abgebrochen ist. Wissen ist
vorhanden, aber nur bruchstückhaft. Vieles ist falsch. Die Briefe sind
stellenweise wohl formuliert, stellenweise ist die Grammatik
schauderhaft. Die Spirale der Anschuldigungen dreht sich seit Beginn der
unheimlichen Serie immer schneller, die Vorwürfe werden immer gröber.
Viele Vorwürfe gegen viele
Zum Stadtjubiläum erhielt die Redaktion der NN ein vielseitiges
Konvolut, detailreich aus dem Internet zusammen gestellt und mit vielen
Vorwürfen gegen viele. Nächstgrößeres Fest in Woffenbach, das ansteht:
Die St. Willibalds-Kirwa. Mal schauen, ob es auch da im Vorfeld wieder
anonyme Briefe geben wird. Damit es nicht nur am Stammtisch was zum
Reden gibt. 15.4.2010
Quelle:
http://www.nm-online.de
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